„Die Dankbarkeit ist unbezahlbar“

Am Anfang ihrer Gründung stand eine Pleite: die ihres ehemaligen Arbeitgebers. Für die examinierte Altenpflegerin und Pflegedienstleiterin Shirin Ak war im Frühjahr 2020, als der große Pflegedienst mit über 300 Mitarbeitern Insolvenz anmeldete, allerdings sofort klar: „Dann mache ich mich selbstständig“. Zusammen mit ihrer Kollegin Aleksandra Drewes, Kauffrau im Gesundheitswesen, traf sie die Entscheidung, dort weiter zu machen, wo andere aufgegeben hatten.

Damit die pflegebedürftigen Kundinnen und Kunden sich nicht an neue Gesichter gewöhnen mussten, hatten Ak und Drewes den Ehrgeiz, einen nahtlosen Übergang vom alten auf ihren neugegründeten Pflegedienst hinzubekommen. „EigenArt“ heißt ihr Unternehmen, das sie innerhalb von sechs Wochen auf die Beine stellten und der Name ist Programm: „Wir pflegen so, wie wir später auch gepflegt werden wollen“, erklären Ak und Drewes. Medizinische, pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung im häuslichen Umfeld setze viel Vertrauen bei allen Beteiligten voraus. „Weil zehn unserer Kolleginnen und Kollegen uns in die neue Firma folgten, mussten sich viele alte Menschen in unserem Pflegebezirk nicht an neue Gesichter gewöhnen.“

Der schönste Lohn, so Ak, sei das „Lächeln auf den Gesichtern unserer Kundinnen und Kunden“ gewesen: „Die Dankbarkeit ist unbezahlbar“.

Persönlicher Service

Von Beginn an setzte das junge Unternehmen Akzente, die es von der Konkurrenz abheben. Das beginnt schon bei den freundlichen, modern eingerichteten Geschäftsräumen, die eher an die Beautybranche als an einen Pflegedienst erinnern. Ganz wichtig sei ihnen der persönliche Service: „Der Mensch steht im Mittelpunkt – ganz gleich, ob Kunde, Mitarbeiterin oder Angehöriger“, erklärt Ak, der man ihre berufliche Vergangenheit in der Hotel- und Gastronomiebranche anmerkt. Weiteres Alleinstellungsmerkmal ist der Mittagessen-Service der Gründerinnen. Die Pflegekräfte bringen auf Wunsch ein frisches Mittagessen mit, gekocht von einer Fleischerei aus dem Quartier. „Damit müssen die Seniorinnen und Senioren sich nicht mit noch einem zusätzlichen Dienstleister auseinandersetzten“, erklärt Drewes. Die beiden Geschäftsführerinnen können auch bei anderen altengerechten Dienstleistungen auf ein gutes Netzwerk, vom Hörgeräteakustiker bis zum Hausnotruf- Anbieter, zurückgreifen. Auch hier gilt: „Wie empfehlen niemanden, den wir nicht auch selbst buchen würden“, so Ak.

Auf Expansionskurs

Zu Beginn startete „EigenArt“ mit zehn Mitarbeitenden und 40 Kundinnen und Kunden. Heute, gut ein Jahr später, sind es bereits 30 Mitarbeitende und 80 Kundinnen und Kunden.

„Wir suchen händeringend neue Räumlichkeiten rund um den Nordpark“, berichtet Drewes. Auch ein Grundstück käme infrage: „Wir würden sogar neu bauen“.

Zurzeit befinden sich die Büros in den ehemaligen Räumen einer Tanzschule an der Apfelstraße 75a. Das eigentliche Pflegebüro, wo auch die Materialien gelagert werden, ist an der Jöllenbecker Straße untergebracht.

Kurze Wege

„EigenArt“ ist ein quartiernaher Pflegedienst. Die Pflegebedürftigen leben in einem Umkreis von fünf Kilometern. Einige der Touren können sie darum zu Fuß absolvieren. „Neben dem Umweltaspekt ist das für uns auch ein Wirtschaftlichkeitsfaktor“, so AK. „Wenn die Pflegekräfte lange im Auto umherfahren müssen, nützt das niemanden.“ 

Ein Herz für Mitarbeitende

„Unsere Mitarbeitenden liegen uns besonders am Herzen“, betonen Drewes und Ak. Gerade aufgrund ihrer eigenen schlechten Erfahrungen bei vorherigen Arbeitgebern wollen sie es besser machen: „Wir behandeln jeden so, wie wir gern selbst behandelt worden wären“, erklärt Drewes. Bereits jetzt bestehe in der Pflegewirtschaft Fachkräftemangel, gute Mitarbeitende seien schwer zu finden. Umso wichtiger sei es, dass alle zufrieden sind. „Wir bezahlen übertariflich“, erklärt Drewes. „Wer bei uns arbeitet, braucht keinen Zweitjob mehr“, ist sie überzeugt. Die Wertschätzung gegenüber den Angestellten drücken die Geschäftsführerinnen auch mit dem täglichen Frühstück aus, das sie für die Mitarbeitenden finanzieren. Auch haben sie stets eine offene Tür und ein offenes Ohr für Anliegen und Probleme: „Wir sind immer ansprechbar“, erklärt Ak.   

Partnerschaftliche Beratung

Kommunikation auf Augenhöhe erlebten die Gründerinnen auch bei der Sparkasse Bielefeld. „Frau Siepke war super“, berichtet Ak über ihre Beraterin vom GründerCenter. „Von ihr haben wir viele Tipps und Unterstützung bekommen, zum Beispiel für den Businessplan. Auch Ängste konnte Tanja Siepke den beiden nehmen, wie zum Beispiel Aks Befürchtung, nur Akademiker könnten Geschäftsführer sein. Oder die Sorge der gebürtigen Serbin Drewes, ihr Deutsch, welches sie übrigens fließend spricht, sei nicht gut genug.

„Zuerst war ich ja etwas überrumpelt, weil alles so schnell über die Bühne gehen musste“, erinnert sich Tanja Siepke. „Doch dann habe ich schnell gemerkt, wie gut vorbereitet die beiden Damen bereits waren“.

So habe der Gründungsprozess, der sonst meist drei bis vier Monate dauere, in sechs Wochen durchlaufen können. Die Tatsache, dass Personal und Kundschaft bereits vorhanden waren, habe sich ebenfalls positiv ausgewirkt.

Gesicherte Nachfrage

Mit Blick auf den demografischen Wandel und die rückläufige Zahl an Familienverbünden wird schnell klar, dass der Sektor Pflege sich um die Nachfrage keine Sorgen machen muss.

Trotzdem habe es schlaflose Nächte und extrem lange Arbeitstage gegeben, erklären die beiden Gründerinnen. „Da wir so wenig Zeit hatten, passierte alles auf einmal. Die Krankenkassenzulassung kam einen Tag vor der Eröffnung“, erinnert sich Ak. Dazu kam noch die Coronapandemie mit all ihren Auflagen und Bestimmungen. Bereut haben sie die Gründung aber nie:

„Wir würden es wieder machen“, sagen Ak und Drewes, die auch privat befreundet sind, einstimmig. „Zu zweit gehen wir durch dick und dünn“.

Zur Bekräftigung zeigen sie ihre Unterarme: Diese ziert seit kurzem eine liegende Acht: das Zeichen für Unendlichkeit.

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